Assalamu alaikum, warst Du schon mal in einem Flüchtlingsheim? Wir waren am Samstag zu dritt in einem. Dort haben wir einen syrischen Mann und seinen Sohn besucht. Seine Frau und seine anderen fünf Kinder sind noch in der Türkei – und warten darauf, einreisen zu dürfen.
Aber von Anfang an: Zusammen mit einem Übersetzer machen wir uns auf den Weg, die beiden zu besuchen. Nur wenige Bahn-Minuten vom Bahnhof entfernt liegt es, das Flüchtlingsheim. Wobei „Heim“ der falsche Ausdruck ist. Hinter einer langen, kurvigen Brücke liegt es versteckt: Das erste, das mir auffällt, ist die trostlose und bedrückende Umgebung. Irgendwie unwirklich.
Kies bildet den Boden, der von Pfützen durchzogen ist. Eine Schranke ist heruntergelassen. Gastfreundschaft ist was anderes. Es regnet, das macht alles noch viel düsterer. Hinter der Schranke stehen zwei weiße, schlichte Häuserblöcke, sie stehen sich schräg gegenüber. Von außen fällt auf, dass es drinnen auch nicht angenehmer ist. Ein Mann steht am Fenster, es hat keine Gardinen.
Wir treten in eines ein. Der Flur ist dunkel. Uns gegenüber erhebt sich eine Treppe, darüber kommt Licht durch ein großes Fenster herein. Links und rechts von uns geht der Flur weiter. Wäscheständer und andere Gegenstände stehen dort herum.
Wir gehen hoch. An beiden Enden des Flures sind große Fenster angebracht. Dennoch wirkt er düster und unruhig. Auch hier steht allerlei Zeug herum. Der Übersetzer klopft an eine Tür.
Es sind drei Zimmer und ein kleiner Flur. Das Zimmer, in dem wir sitzen, ist wohlig-warm. Viel ist nicht drin: ein Metallschrank, vielleicht einen halben Meter breit, drei Stühle und zwei Metallbetten mit dünnen Matratzen. Wir Frauen setzen uns auf die Stühle. Der Übersetzer setzt sich zu unserem Gastgeber aufs Bett, ihm gegenüber sitzt sein 12-jähriger Sohn. Wir werden einander vorgestellt. Wir fragen den Vater, wie es ihm geht. Wir verstehen kein Wort, aber sein Gesichtsausdruck spricht Bände. Er ist erschöpft, nicht nur weil er müde ist, er ist vor allem traurig. Unser Begleiter erklärt, warum wir dort sind. Wir haben von dem Jungen erfahren.
Vor über einem Jahr schlug eine Bombe in dem Haus der Familie ein. Der älteste Sohn, Hamid, hat sich dabei Verbrennungen im Gesicht und an den Armen zugezogen. Jetzt ist die Mutter mit fünf Kindern zwischen zehn und einem Jahr in der Türkei bei ihren Eltern. Der Vater ist mit seinem Ältesten hier in Deutschland. Der kleine Hamid soll operiert werden. In zwei Wochen, inschallah. Bis dahin soll seine Mutter da sein. Der Arzt sagt, das ist ganz wichtig für den Jungen.
Hamid ist ein bisschen schüchtern. Er sitzt da, die Beine an die Brust gezogen, die Ellen darauf gestützt, das Gesicht in den Händen. Seine Wunden an den Armen sehen wir nicht. Er trägt Armschoner aus Wolle. Hamid spricht nicht viel. Wir fragen, ob er zur Schule geht. Eigentlich sollte er, aber er kann nicht, weil er so viel bei Ärzten ist. Sein Vater beantwortet unsere Fragen.
Zum Schluss bleibt eine Frage: Was er denn braucht? Sein Blick geht nach unten. Er kann die Frage nicht beantworten.
Wir versichern ihm, dass wir wiederkommen. Und wenn er etwas braucht, dann meldet er sich bei uns.
Wassalam,
Deine Emha