Nothilfe während der Pandemie

Von Nadya Moussa

Im rechten ihrer dünnen Arme hält Glory den Sack mit Reis, im anderen ihren kleinen Sohn, der mit einem Stück Seife spielt. Der Junge schaut etwas skeptisch drein, er weiß nicht so recht, was vor sich geht, zu jung, um zu verstehen. Neben der jungen Frau liegen auf einer blauen Regentonne, die an der Hauswand lehnt, abgepackt Linsen, Buchweizen und Zucker. Glory ist 22 Jahre alt und hat über die Nothilfe Ende April für sich und ihre Familie Grundnahrungsmittel und drei Stück Seife erhalten. Bevor sie ihren Sohn bekommen hat, arbeitete sie an einer Privatschule als Lehrerin. Seitdem der Kleine da ist, ist sie zu Hause und kümmert sie sich um ihn; ihr Mann ist Alleinverdiener der jungen Familie. Er ist Tagelöhner, wird aber im Gegensatz zu vielen anderen pro Woche bezahlt, nicht pro Tag. Doch sein Wochenlohn beträgt keine 8,50 Euro. Das deckt kaum die Ausgaben der Familie für Miete, Strom und Lebensmittel. Zu dritt leben sie in einem Lehmziegelhäuschen mit weiß-blau getünchten Wänden, das aus einem einzigen Zimmer besteht, in einem Armenviertel Hublis zur Miete, der Hauptstadt des Distrikts Dharwad im indischen Bundesstaat Karnataka. Das Wellblechdach ist mit Zeltplanen abgedeckt, damit es nicht reinregnet. Viele dieser Unterkünfte in den Armenvierteln ähneln sich. Gekocht wird entweder im Zimmer oder vor der Tür, eine separate Küche haben die wenigsten. Einen Wasseranschluss gibt es nicht. Eine Toilette gehört zu keinem Häuschen, ein Bad sowieso nicht. In Indiens Slums, wie an so vielen anderen Orten, können die Menschen davon nur träumen. Dicht an dicht stehen die Häuschen, Unterkünfte oder Zelte. Hygieneregeln einhalten, Hände waschen, sich vor Ansteckung schützen, ist schwierig.

Indien zählt derzeit mit die höchsten Infiziertenzahlen. Man hatte versucht, es nicht so weit kommen zu lassen. Quasi über Nacht wurde für den 25. März der landesweite lockdown beschlossen, einer der schärfsten weltweit: Das gesamte öffentliche Leben wurde heruntergefahren. 1,3 Milliarden Inder wurden nach Hause geschickt und sollten weitestgehend dort bleiben, zumindest für einige Zeit. Man wusste nicht, was kommen würde und hatte gehofft, glimpflich davonzukommen. Alle Bereiche, die nicht System-relevant waren, wurden geschlossen: Schulen, Universitäten, Büros und Geschäfte, Fabriken und Hotels. Geöffnet blieben einfache Lebensmittelläden, Apotheken und einige Banken. Das hatte Folgen, wie fast überall auf der Welt: Angestellte wurden entlassen, zwangsbeurlaubt, oder konnten den Ort ihrer Arbeitsstelle einfach nicht erreichen, weil sie schließlich das Haus nicht verlassen durften. Heimarbeit ist keine Option für einfache landwirtschaftliche Helfer, Bauarbeiter, Fabrikarbeiter, Tagelöhner, Rikschafahrer, Hausangestellte, Fischer, Bauern, einfache Verkäufer oder kleine Händler. Finanzielle Hilfen vom Staat für Einkommensausfälle gibt es in den wenigsten Ländern.

Glorys Mann hatte während der gesamten Ausgangssperre nicht arbeiten können. Die Familie litt Not. Ihre Nachbarn konnten sie nicht um Hilfe bitten, ihnen war es genauso ergangen wie Glorys Familie. Viele leben von der Hand in den Mund, ohne Rücklagen, weil es nie reicht. Glory berichtet: „Der lockdown hat marginalisierte Gemeinden wie unsere durch den Einkommensverlust, den Mangel an Lebensmitteln, Unterkünften, medizinischer Versorgung und anderer Grundbedürfnisse bereits überproportional geschädigt. Wenn wir jetzt etwas für mein Kind kaufen möchten, ist das nicht möglich, weil wir von den Wocheneinnahmen abhängig sind und jetzt kein Geld mehr da ist.“

Glorys Familie konnte wie weitere 874 Familien aus Hubli, die durch die Ausgangssperren keine Einnahmen mehr haben, mit Lebensmitteln und Seife notversorgt werden. Jeder Familie wurden 15kg Reis, 5kg Linsen, 5kg Buchweizen, 2kg Zucker, 1l Speiseöl und 3 Stück Seife übergeben. Glory wünscht den Spendern dafür: „Möge Gott sie tausendfach in dieser Welt segnen und auch in der nächsten.“.

Allein in Indien konnten bis Ende September 2020 für 97.812 € fünf Corona-bedingte Nothilfeprojekte in vier Bundesstaaten bewilligt werden. Weitere Nothilfe wurde in Albanien, Bangladesch, Indonesien, Kenia, dem Libanon, Montenegro, Nepal, Pakistan, Ruanda, Sri Lanka, Togo, der Ukraine und Zimbabwe finanziert. Bis Ende September konnten insgesamt 28 Coronanothilfeprojekte in 14 Ländern über Spenden in Höhe von 473.261 € angewiesen werden. Die Hilfe kommt über 23.850 bedürftigen Familien zu Gute und mit ihnen Witwen, Waisen, Menschen mit Behinderungen, Alten, Krankenhauspatienten und -mitarbeitern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen, sowie Menschen, die selbst am Virus erkrankt sind, oder erkrankte Angehörige pflegen.

Hyderabad/Indien: Rohingya leben in Flüchtlingslagern auf engstem Raum.

Die andauernden Ausgangssperren in vielen Ländern wirkten sich nicht nur auf die finanzielle Situation betroffener Familien, sondern auch auf die Durchführung fast aller Projekte dort aus. Nationale oder lokale Ausgangssperren verzögerten die Umsetzung mancher Projekte, für die ein früherer Termin angedacht war. Wenn sie dann stattfanden, waren die Verteilungen oft nicht leicht. Neben den Abstands- und Hygieneregeln, die eingehalten werden mussten, war es an manchen Orten schwer überhaupt freiwillige Helfer zu finden. Die Angst vor einer Ansteckung war sehr groß. Auch bei den Begünstigten. Normalerweise werden für solche Verteilungen Orte festgelegt, die allen bekannt sind. Für einen bestimmten Zeitpunkt werden die Begünstigten aus denselben Orten zu einem Treffpunkt eingeladen, an dem ihnen ihre Hilfsgüter überreicht werden. Solche Treffen sind insofern wichtig, weil der Kontakt zwischen Helfern und Geholfenen notwendig ist. In der Regel haben unsere Partner sehr engen Kontakt zu den Begünstigten. Oft sind es immer wieder dieselben Menschen, die über Ramadanhilfe, Kurban und Winterhilfe unterstützt werden. Vor allem den Alten und Alleinstehenden, denen, die sich um kranke oder körperlich eingeschränkte Angehörige kümmern, fehlt der Kontakt. Hier mal eine Umarmung, ein Lächeln, mit jemandem über die eigenen Sorgen sprechen, zu wissen, dass jemand da ist, der zuhört, Interesse zeigt. Das hilft. All das fiel weg. Und es fehlte.

Lebensmittelhilfen sind nicht nachhaltig, aber allein die Geste, dass Menschen von weit weg an andere denken, die sie nicht einmal kennen, ist schon eine Erleichterung für viele. Zu wissen, dass Hilfe von dort kommt, von wo man sie nicht erwartet hat, bringt Hoffnung in einer geplagten Zeit, wie Ajimon aus North 24 Parganas in West Bengalen, Indien weiß. Sie sagte während einer Verteilung am 16. April: „Ich habe zwei Töchter und einen Sohn, denen es sehr schlecht geht. Ich arbeite als Tagelöhnerin an einem Ziegelofen. Seit der Ausgangssperre vom 22. März bis jetzt bin ich zu Hause mit meinen Kindern eingeschlossen und ohne Arbeit. Wir litten bereits unter der Armut, aber diese Ausgangssperre hat unsere Schwierigkeiten noch verstärkt und nun hungern wir. Aber dieses Lebensmittelpaket hat uns einen Hoffnungsschimmer gebracht. Wir beten zu Allah, dem Allmächtigen, dass ihr immer in der Lage sein werdet, den Bedürftigen zu helfen.“  

So ähnlich empfand es auch Razzak, 45, aus Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs. Er hat für sich und seine Familie am 11. April über die erste Coronanothilfe ein Lebensmittelpaket erhalten. Er erzählte: „Ich bin Tagelöhner. Durch die Corona-bedingten Ausgangsbeschränkungen habe ich jetzt keine Arbeit. Für mich bedeutet kein Einkommen, kein Essen zu Hause. Es ist schwer, in dieser Krisenzeit an drei Mahlzeiten am Tag zu  kommen. Ich kann nicht ausdrücken, wie sehr ich mich freue, dieses Lebensmittelpaket zu erhalten. Möge Allah euch alle segnen.“

Oder auch Bina aus Kalkutta im indischen Bundesstaat West Bengalen, die sagt: „Ich lebe in einer armen Familie. Wir leben im Armenviertel und können unseren täglichen Bedarf während dieser Ausgangssperre nicht decken. Ich habe nichts zu essen. Es war schwierig, jeden Tag Essen für meine kleinen Kinder zu bekommen. Ich habe auch meine Arbeit als Haushaltshilfe verloren. Aber eure Lebensmittelhilfe muntert mich auf und erfreut meine Kinder. Seid gesegnet für eure Unterstützung!“

„Meine Beine schmerzen, Bruder. Ich frage mich, wie ich dieses Paket voller Reis tragen soll, es ist sehr schwer für mich. Ich habe seit zwei Tagen nichts mehr gegessen,“ sagte die 36-Jährige Sukumaya am 6. Mai zu einem der Helfer, als sie ihr Nothilfepaket auf die Schulter gehievt hatte. Sie lebt in Kathmandu, eigentlich mit ihrem Mann, aber: „Mein Mann hat als Straßenarbeiter in einem anderen Distrikt gearbeitet und seit der Ausgangssperre sitzt er dort jetzt fest. Er hat vor, den ganzen Weg hierher nach Kathmandu zu laufen. Wir stecken in großen Schwierigkeiten, aber dies ist eine große Erleichterung.“

Für niemanden ist diese Situation leicht. Auch in Europa nicht, das lange als Brennpunkt der Pandemie galt. Dennoch waren unsere Spender gerade in dieser unsicheren Zeit, in der es sicherlich vielen nicht gut ging, für Menschen da, die Hilfe dringend brauchten und nicht wussten, an wen sie sich wenden sollten. Das zeugt von Gottvertrauen und Großmut. Dafür möchten wir uns bedanken im Namen von Glory, Ajimon, Razzak, Bina, Sukumaya und allen anderen, denen unsere Spender ihre Hand gereicht haben. Möge Allah alle Spenden annehmen und denen, die gegeben haben, für alle Schwierigkeiten einen Ausweg weisen, sowie denen, die Not leiden.   

Aceh/Indonesien: In einigen Teilen Indonesiens gelten strenge Ausgangsbeschränkungen, Nothilfe wird dringend benötigt.

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