Unsere wachsende Verantwortung in Zeiten der Krise

Fest umschlossen hält Anithas Sohn die Packung Speiseöl, während ihre Mutter mit einem breiten Lächeln die Hand auf den Kopf der Frau legt, die ihr die Eier überreicht. In Indien wie auch in weiteren zahlreichen Ländern gilt das Vorhalten des Kopfes  als eine Geste der Respekterweisung  für ältere Menschen und das Erwidern der Geste durch die Berührung des Kopfes als Zuneigung und Dankbarkeit für den entgegengebrachten Respekt.

Neben den Eiern halten weitere Familienmitglieder von Anitha Bestandteile der Lebensmittel der Coronanothilfe, die im vergangenen Sommer ein zweites Mal in den Armenvierteln der Städte Hubli und Dharwad in Indien geleistet wurde. Anithas Familie mit eingeschlossen konnten 700 bedürftige Familien etwa einen Monat lang unterstützt werden, wobei jede Familie 15kg Reis, 5kg Weizenmehl, 2kg Zucker, 2kg Linsen, 2 Liter Speiseöl, 2 Höckerlagen Eier und 2 Stück Seife erhielt. Dabei fanden besonders Witwen und ihre Familien, sowie Tagelöhnerfamilien Berücksichtigung, von denen viele durch die Ausgangsbeschränkungen erwerbslos geworden sind oder ihrer Erwerbstätigkeit aufgrund der fehlenden Arbeit oder den Corona-Restriktionen nicht mehr nachgehen konnten. Die meisten verzeichneten bereits in der Zeit vor Corona Einnahmen unter 1,50 € am Tag. Zu den Geringverdienern gehört auch der Ehemann von Anitha, welcher Metallringe anfertigt und auf dem Markt verkauft. Mit seinem geringen Einkommen hat er seine achtköpfige Familie zu versorgen, bestehend aus seinen vier Kindern, seiner Ehefrau, seiner Schwägerin sowie Schwiegermutter. Doch das Geld reicht nicht aus und der Ehemann findet keine neue Arbeit. Tagelang konnten sie ihre Grundbedürfnisse nicht decken und auch die Nachbarn mussten finanzielle Hilfe verweigern, da sie Ähnliches durchmachten. Anitha erklärt: „Wegen des Lockdowns konnten wir das Haus nicht verlassen und unser Leben wurde herausfordernd. Wenn die ganze Welt sich im Lockdown befindet, ist Hoffnung die einzige Motivation für das Überleben von armen Menschen wie uns. Wir hatten kein Essen und die Kinder mussten oft schlafen gehen, ohne gegessen zu haben. Meine Schwester ist schwanger und braucht nährstoffreiche Lebensmittel, aber wir haben kein Geld, Essen zu kaufen. Manchmal erzähle ich Geschichten, um den Hunger zu vergessen.“

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Laut eines Artikels im Guardian vom 25. März 2020 leben mehr als 300 Millionen Inder unterhalb der Armutsgrenze und oft von der Hand in den Mund, sodass sie keine Ersparnisse für schlechte Zeiten zurücklegen können. Die Global Finance spricht hierbei von der ungleichmäßigen Verteilung der Last der Pandemie. Die Rezession treffe Menschen, die nicht von zu Hause arbeiten können, schlimmer. Dazu gehören Arbeiter in Bereichen der Unterkunfts- und Verpflegungseinrichtung, des Transports und des Einzel- sowie Großhandels. In Indien fallen darunter Rikschahfahrer, Fabrikarbeiter, Bauern, kleine Händler, Tagelöhner etc., die sich täglich abmühen müssen, ihre Familien zu versorgen. 

Ähnlich geht es vielen Bedürftigen weltweit. Nicht nur die Ausübung der Erwerbstätigkeit ist stark eingeschränkt oder nicht mehr möglich, parallel dazu steigen die Lebensmittelpreise weltweit laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO).  Der Nahrungsmittel-Preisindex (FFPI) zeigt die monatliche preisliche Veränderung eines Lebensmittelkorbes an, der aus fünf Lebensmittelgruppen besteht: Getreide, pflanzliches Öl, Milchprodukte, Zucker sowie Fleisch. Insgesamt ist der Nahrungsmittel-Preisindex um knapp 3% im Vergleich zum Vorjahr 2019 gestiegen. Betrachtet man die einzelnen Lebensmittel, so stellt man Unterschiede fest. Der Getreide-Index ist im zweiten Halbjahr von 2020 kontinuierlich gestiegen und hatte die höchste Rate seit 2014 erreicht. Auch bemerkenswert ist der Anstieg des Speiseöl-Index, welcher den höchsten Stand seit 2012 verzeichnet und knapp 19% höher liegt als im Jahr 2019. Zudem erhöhte sich der Zucker-Index, jedoch nur um 1% im Vergleich zum Vorjahr 2019. Des Weiteren ist der Index der Milcherzeugnisse im zweiten Halbjahr von 2020 kontinuierlich angestiegen,  jedoch insgesamt 1% zu 2019 gesunken. Auch der Fleisch-Index ist leicht gestiegen. Er liegt jedoch knapp 4,5%  Prozent unter dem Wert des Vorjahres. Die FAO stellt zudem einen „Daily Food Prices Monitor“ zur Verfügung, welcher den Preis von 14 Hauptnahrungsmitteln in allen Ländern mit dem Durchschnittspreis des Vorjahres vergleicht. Alle Lebensmittel verzeichnen einen Preisanstieg, wobei  Rindfleisch um knapp 9%, Hähnchenfleisch und Eier um knapp 8%, Kartoffeln um knapp 12%, Zwiebeln und Tomaten um knapp 13%,  Backwaren wie Brot sowie Reis um  knapp 10% gestiegen sind (Stand 19. Januar 2021). Getreide einschließlich Reis machen laut der FAO 55 bis 70% der gesamten Kalorien in Entwicklungsländern aus, weshalb ein Preisanstieg besonders problematisch sein kann.  

Diese kritische Situation hat muslimehelfen erkannt und zügig reagiert. Coronanothilfe bzw. Lebensmittelverteilungen wurden priorisiert, wobei Waisen-, Bildungs- und Medizinprojekte aufgrund der damit einhergehenden Verantwortung weiterhin umgesetzt wurden. Insgesamt wurden  67 Nothilfeprojekte im Jahr 2020  angewiesen, wovon 48 Coronanothilfe ausmachten. Mit der Coronanothilfe sollten knapp 43 000 bedürftige Familien unterstützt werden. Ungefähr  900 000 Euro in Form von Lebensmitteln sollten in Albanien, Bangladesch, Indien , Indonesien, Kenia, dem Libanon, Montenegro, Nepal, Pakistan, Ruanda, Sri Lanka, Südafrika, Togo, der Ukraine und Zimbabwe verteilt werden. Der Großteil der Projekte wurde erfolgreich umgesetzt. Bei dem restlichen Teil handelt es sich um noch laufende Projekte, weshalb die Begünstigtenzahl leicht variieren kann. Auch die Partner reagierten schnell und verteilten die Lebensmittel unter Einhaltung der Corona-Regelungen und teils durch das Bereitstellen von Hygienemitteln wie Seife vor Ort.

Zu den begünstigten Familien gehört die Familie von Belal (38) aus Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, welche im Mai 2020 Coronanothilfe erhielt. Er erzählte: „Ich bin Fabrikarbeiter. Meine Fabrik hat geschlossen wegen des Lockdowns. Jetzt habe ich kein Einkommen mehr. Also haben wir unsere Mahlzeiten auf einmal am Tag reduziert. Ich bin sehr glücklich, diese Lebensmittelhilfe zu bekommen. Mit diesen Lebensmitteln kann ich meine Familie für die nächsten Tage versorgen. Möge Allah euch alle segnen.“ 

Auch Suntali (46) aus Kathmandu, der Hauptstadt Nepals, bedankte sich bei den muslimehelfen-Spendern für die Lebensmittel, die ihr im Mai 2020 überreicht wurden und sagte: „Ich habe zwei Kinder. Ich habe als Tellerwäscherin in verschiedenen Haushalten vor Ort gearbeitet, aber ich darf wegen des Coronavirus die Häuser nicht mehr betreten. Deshalb habe ich meine Arbeit verloren. Ohne Einkommen ist es sehr schwierig Essen für meine Kinder zu besorgen, aber glücklicherweise habe ich Lebensmittelhilfe von euch erhalten und sie wird für einen Monat reichen. Danke!“ 

Ähnlich empfand es auch die alleinerziehende Mutter Kamsa (55) aus Kinniya in Sri Lanka, die im Sommer 2020 Lebensmittel erhielt. Sie erklärte: „Ich bin Witwe und alleinerziehende Mutter. Ich habe meinen Lebensunterhalt als Tagelöhnerin als Hausangestellte verdient. Aber wegen Corona kann ich das Haus nicht verlassen und Geld verdienen. Alhamdulillah, mit der Hilfe von muslimehelfen und seinen Partnern war es mir möglich, meine Kinder zu ernähren. Möge Allah euch mit Gutem belohnen.“ 

Auch als die Familie von Anitha die Corona-Lebensmittelhilfe sah, fingen ihre Gesichter an zu strahlen. Dies war nur möglich durch die Großzügigkeit und den Großmut der Spender, die in dieser schwierigen Situation an andere dachten und ihre Not linderten. Der weltweite Arbeitsverlust führt zu insgesamt mehr Bedürftigen. Mehr Menschen, die sich nicht selbst helfen können, deren Einkommen wegfällt, die nicht von zu Hause aus arbeiten können und auf die täglichen Einnahmen angewiesen sind. Mehr Menschen, denen nicht einmal ihre Nachbarn vor Ort beistehen können, da sie Ähnliches erleben. Folglich wächst unsere Verantwortung in Zeiten der Krise. Alhamdulillah, waren unsere Spender sich ihrer Verantwortung bewusst und spendeten von dem, was ihnen möglich war. Dafür möchten wir uns bedanken im Namen von Anitha, Belal, Suntali, Kamsa und allen anderen, denen unsere Spender in kritischen Zeiten beistanden. Möge Allah es von allen annehmen.

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