Haben wir uns schon einmal die Frage gestellt, wieso wir vor dem Verrichten des Gebets eine rituelle Waschung – Wudhu – (Abdest) – durchführen?
Auch scheint es doch auf den ersten Blick eigenartig, dass wir die Waschung nach jeder Notdurft erneuern, obwohl die dabei zu waschenden Körperteile, also die Hände, Arme, das Gesicht, die Haare und die Füße (vgl. 5:6) im Grunde genommen nicht bei der Notdurft verunreinigt werden.
Der tiefere Sinn liegt wohl in der Symbolik der Waschung.
Die rituelle Waschung bringt die spirituelle Reinheit nach einer „Verunreinigung“. So gilt ein Mensch erst dann als „rein“ und damit bereit für das Treffen mit seinem Schöpfer, wenn er diese symbolische Reinheit erlangt.
Auch in der Udhijah – also der Schlachtung eines Tieres am Opferfest – können wir eine ähnliche Symbolwirkung erkennen, die weit über das bloße Schlachten hinaus geht. Dennoch werden berechtige Fragen aufgeworfen. Zum Beispiel:
„Weshalb möchte Allah vom Menschen, dass eines Seiner Geschöpfe geschlachtet wird? Was bringt das? Was ist der Hintergrund?“
Ohne lange über diese legitimen Fragen zu philosophieren, können wir uns unmittelbar an den Koran wenden, in dem diese Udhijah angeordnet wird.
Die Antwort finden wir in den Versen 26 bis 37 der Surat Al-Hadsch.
So erwähnt Allah (subhanahu wa ta’ala) im 26. Vers der Sure den Propheten Ibrahim (alayhi salam).
Wir wissen, dass Ibrahim den Befehl bekam seinen Sohn Ismail zu opfern (vgl. 37:102). Und als beide, Sohn und Vater, bereit waren dem Befehl Allahs Folge zu leisten, gab Allah jedoch Seinem edlen Gesandten Ibrahim den Befehl stattdessen ein Tier zu opfern (vgl. 37:107).
Allah sagt im nachfolgenden Vers in ungefährer Übersetzung:
„Wir bewahrten den Namen (Ibrahims) unter den künftigen Geschlechtern“ (37:108).
Durch das Opferfest wird der Gesandte Ibrahim (alayhi salam) und seine vorbildliche Lebensgeschichte mindestens einmal im Jahr in das kollektive Gedächtnis der Muslime gerufen.
Diese Geschichte trägt eine großartige Botschaft und eine vielschichtige Symbolkraft der Udhijah in sich.
Die erste Ebene dessen, lässt sich in folgender Frage festhalten:
Bist du bereit für Allah Dein Geliebtes aufzugeben?
Im 28. Vers der Surat Al-Hadsch wird der Befehl ausgesprochen, dass die Pilgernden zur Wallfahrt nach Mekka und Medina ein Vieh schlachten sollen. Dies ist ein Ausdruck des Gedenkens an die Gaben Allahs, die er dem Menschen geschenkt hat. Die Symbolkraft der Opferung des Tieres in der Wallfahrt ist ein Ausdruck der Freude und der feierlichen Stimmung der Pilgernden.
Ähnlich wie in unserer Gesellschaft an Geburtstagen Feierlichkeiten abgehalten werden und Leckereien für Freunde und Bekannte gebacken werden, so wird im Islam zur Feier der Pilgerfahrt Fleisch verteilt.
Die zweite Symbolkraft ist sich zu freuen, indem wir Allah und Seiner Gaben gedenken!
Im 32. Vers derselben Sure erwähnt Allah (subhanahu wa ta’ala) die sogenannte „Taqwā“.
Zum Kontext: Dieses arabische Wort „Taqwā“, das einer der zentralen Begriffe des Korans ist, wird oftmals mit „Gottesfurcht“ übersetzt. Doch verliert die Bedeutung des Wortes Taqwā seine Tiefe bei dieser eindimensionalen Übersetzung. Taqwā ist ein Bewusstsein, eine Lebenseinstellung. Es ist die Einstellung sich in seinem alltäglichen Leben vor jeglicher sündhaften Übertretung zu schützen und die Grenzen Allahs einzuhalten.
Auch nennt Allah die Opferung eines Tieres zum Opferfest „Sha`ā‚ir„, also ein „Symbol“ oder ein „Ritual“. Und weiter erläutert der Erhabene uns, dass wer die Symbole und Gebote Allahs ehrt, dies tut, weil er Taqwā besitzt.
Die dritte Symbolkraft ergibt sich aus dem Umkehrschluss, dass die Taqwā desjenigen Mängel hat, der die Rituale Allahs nicht ehrt.
Im 36. Vers der genannten Surah befiehlt der barmherzige Schöpfer das Tier, das mit der Erwähnung Seines Namen geschächtet werden muss, zum Teil selbst zu verzehren und einen größeren Teil zurück zuhalten und an Bedürftige zu verteilen.
Die vierte Symbolkraft ist folglich das Teilen der Gaben mit Deinen Mitmenschen.
Im 37. Vers schließt Allah (subhanahu wa ta’ala) den Abschnitt der Udhijah ab, indem er zusammenfassend in ungefährer Übersetzung sagt:
„Es ist weder das Fleisch (eures Opfertieres), noch das (vergossene) Blut, dass Allah erreicht, sondern es ist eure Taqwā, die Ihn erreicht.“.
Somit ist die Quintessenz der Udhijah folgendes:
Nicht das Fleisch, nicht das Blut oder die Anzahl der geschächteten Tiere sind wichtig. Darum geht es nicht! Die Bindung des Menschen zu Allah steht im Fokus. Das Tier wird geschächtet, verzehrt und ist somit nicht mehr existent. Die tatsächlichen langfristigen Opfer sind die Aufopferungen des Menschen, die er sein ganzes Leben bereit ist für seinen Schöpfer aufzubringen.
Wer das Opferfest bewusst erlebt, erfährt die Nähe zu seinem Schöpfer und erlernt die Bereitschaft zur Aufopferung.