Als Zuständige für die Projektentwicklung befasse ich mich jährlich mit Hunderten von Projekten. Jedes Projekt ist wertvoll und trägt auf seine eigene Weise – temporär oder langfristig – zur Verbesserung der Lebensbedingungen bei: Eine Lebensmittelhilfe kann temporär den Hunger stillen. Waisenhilfe schenkt den Kindern Geborgenheit und vermittelt ihnen das Gefühl, nicht allein zu sein. Medizinische Hilfe kann Schmerzen lindern und zur Genesung beitragen.
Eine Projektkategorie, die mir besonders am Herzen liegt, ist die Bildung. Sie hat das Potenzial den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen und ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Bildung einen hohen Stellenwert hatte, weil meine Eltern meinen Geschwistern und mir die Chancen ermöglichen wollten, die ihnen selbst verwehrt blieben. Meine Eltern stammen aus Pakistan, einem Land, in dem die Analphabetisierungsrate im Jahr 2022 bei etwa 30 % für Männer und rund 55 % für Frauen lag. Bei meiner Mutter war der Wunsch zu lernen da, doch die Möglichkeiten fehlten. Die große Entfernung zu einer weiterführenden Schule und infrastrukturelle Probleme erschwerten den Zugang zu Bildung. Mein Vater hingegen musste bereits in jungen Jahren als ältester Sohn der Familie Verantwortung übernehmen und meinen Großvater finanziell unterstützen. Bei ihm waren es die fehlenden finanziellen Mittel und die frühe Verpflichtung zur Familienversorgung, die ihm den Bildungsweg versperrten.
Ein solches Schicksal teilen viele Kinder und Heranwachsende in Ländern des Globalen Südens. Umso mehr freute es mich, als sich unsere Projektpartner aus Bangladesch Anfang 2024 mit dem Wunsch meldeten, ein Bildungsprojekt für solche Kinder umzusetzen. Bei den Begünstigten des Projekts handelt es sich um Kinder und Jugendliche aus den Fischergemeinden in Cox´s Bazar, eine marginalisierte Gruppe, die vor vielen sozialen und ökonomischen Herausforderungen steht. Der Großteil der Kinder aus den Küstenfischerdörfern hat keinen Zugang zu Bildung und nie die Möglichkeit erhalten, die Grundschule zu besuchen. Bereits im Alter von sechs bis sieben Jahren beginnen sie mit der Fischerei aufgrund von Armut oder dem Tod eines Elternteils. In einem Alter, in dem Kinder unbeschwert aufwachsen sollten, fangen sie gemeinsam mit den Erwachsenen Fische in Flüssen und im Meer oder trocknen Fisch in der stechenden Sonne. Laut einer Umfrage handelt es sich in dem Distrikt bei 20 % der Arbeiter im Trockenfischsektor um Kinder. Trotz des Interesses der Familien und Kinder bleibt ihnen ihr Recht auf Bildung wegen fehlender finanzieller Mittel verwehrt. Der Lebensunterhalt der bedürftigen Familien aus den Fischergemeinden ist stark von saisonalen Fischfängen abhängig und daher sehr unsicher. Die Unsicherheit wird durch Naturkatastrophen, sinkende Fischbestände und Marktschwankungen zusätzlich verstärkt. Viele Familien stehen vor der täglichen Herausforderung, grundlegende Ausgaben für Nahrung, medizinische Versorgung und Bildung zu decken. Auch die Initiativen seitens der Regierung und weiterer NGOs sind begrenzt. Doch muslimehelfen hatte die Chance, an dieser Stelle unterstützend einzugreifen und diesen Kindern und Jugendlichen eine Chance auf Bildung zu ermöglichen.
Für dieses Projekt wurde eine informelle Schule für 25 Schulkinder – 16 Mädchen und 9 Jungen – im Alter von 10 bis 14 Jahren eingerichtet, wovon 3 Kinder Waisen sind. Informelle Schulen in Bangladesch sind Bildungseinrichtungen, die außerhalb des formalen Schulsystems agieren und grundlegende Bildung für Kinder anbieten. Dazu gehören arbeitende Kinder und Straßenkinder, die nie die Möglichkeit hatten, eine formale beziehungsweise reguläre Schule zu besuchen. Diese Schulen befinden sich oft in Slums, ländlichen Gebieten oder benachteiligten Gemeinschaften und werden meist von lokalen Gemeindemitgliedern, NGOs oder anderen Organisationen gegründet. Dabei richten sich die informellen Schulen nach dem Alltag der Kinder und bieten flexible Unterrichtszeiten an. Der Unterricht findet häufig abends oder an Wochenenden statt, damit die Kinder ihre Arbeit und Bildung miteinander vereinbaren können.
Für die Einrichtung der informellen Schule wurde ein Raum für ein Jahr gemietet, dekoriert und mit allem ausgestattet, was für eine förderliche Lernumgebung benötigt wird. Es wurden Lernmaterialien wie Notizbücher, Stifte, Federmappen und Schultaschen an die Kinder verteilt und die Lehrerinnen haben didaktische Materialien wie ein Whiteboard sowie Marker für den Unterricht erhalten. Außerdem wurden die Kosten für Ventilatoren, eine gute Raumbeleuchtung, Bodenmatten, Lernposter, Wasserfilter mit Trinkgläsern sowie Reinigungsmittel und Hygieneartikel gedeckt. Die Lehrkräfte wurden aus den lokalen Gemeinschaften rekrutiert, da sie die sozialen Strukturen vor Ort gut kennen und die Herausforderungen arbeitender Kinder besser nachvollziehen können. Zudem wurden weitere Betriebskosten wie die Stromkosten für das Schulzimmer und weitere Ausgaben für Transport und behördliche Vorgänge von muslimehelfen übernommen.
Unsere informelle Schule bietet eine Grundschulbildung von der ersten bis zur fünften Klasse an und folgt dem nationalen Schullehrplan von Bangladesch. Die 25 Schulkinder wurden, unabhängig von ihrem unterschiedlichen Alter, in einer gemeinsamen Klasse der ersten Schulstufe zusammengeführt und abends unterrichtet. Dabei wurden grundlegende Kenntnisse wie das Lesen, Schreiben und Rechnen vermittelt.
Alle 25 Schulkinder haben das erste Schuljahr erfolgreich absolviert und wurden nach einer Überprüfung durch die lokale Schulbehörde offiziell in die zweite Klasse versetzt. Die Prüfungsergebnisse zeigen, dass die Kinder trotz ihrer schwierigen Lebensumstände beeindruckende Leistungen erbracht haben: 8 Schüler haben die Bestnote A+ erhalten, 6 Schüler die Note A, 5 Schüler erzielten A-, weitere 5 Schüler erreichten die Note B und die Leistung nur einer Schülerin wurde mit der Note C bewertet. Der Projektzeitraum erstreckte sich vom 1. Juni 2024 bis 31. Mai 2025.
Wichtig für den Erfolg des Projekts war die regelmäßige Teilnahme der Kinder am Unterricht, die kontrolliert wurde. Die hohen Anwesenheitsraten haben gezeigt, dass der Schulunterricht am Abend optimal an den Alltag der Kinder angepasst war. Außerdem war für den Erfolg die aktive Beteiligung der Gemeinschaft entscheidend. In der Planungsphase des Bildungsprojekts wurden Vertreter der Fischergemeinden – darunter Eltern, Gemeindeälteste und arbeitende Kinder – eingebunden, um ihre tatsächlichen Bedürfnisse besser nachzuvollziehen. Außerdem fanden während des Projektzeitraums regelmäßige Feedback-Sitzungen mit den Eltern, Gemeindevertretern und den Kindern statt. Zudem standen unsere Projektpartner in regelmäßigem Austausch mit den Lehrerinnen, die fortlaufend über den Lernfortschritt der Kinder und möglichen Herausforderungen berichteten. Dadurch konnten die Wirkung des Projekts bewertet und gezielte Verbesserungen umgesetzt werden.
Der Erfolg des Projekts spiegelt sich in den Aussagen der Kinder wider. Tahmina ist 14 Jahre alt und gehört zu den Schülern, die die Bestnote A+ erhalten haben. Sie ist dankbar für ihre zweite Chance auf Bildung:
„Ich komme aus einer sehr armen Familie. Mein Vater fängt Fische im Meer und arbeitet täglich auf dem Boot eines anderen. Es ist sehr schwer für ihn die Ausgaben unserer siebenköpfigen Familie zu decken. Früher bin ich zur Schule gegangen, musste aber abbrechen. Doch seitdem Eure Partnerorganisation hier eine Schule gegründet hat, kann ich wieder am Unterricht teilnehmen. Nachdem ich die erste Klasse abgeschlossen habe, besuche ich jetzt die Zweite. Hier lernen wir mit Freude. Ich möchte selbstständig werden, damit ich meinen jüngeren Geschwistern helfen kann, auch zur Schule zu gehen. Ich liebe das Lernen sehr. Danke muslimehelfen.“
Auch der 13-jährige Omor hat eine sehr gute Note, A-, erreicht. Er erzählt:
„Unsere Familie besteht aus acht Personen. Mein Vater arbeitet als Tagelöhner und auch ich fange Fische im Meer. Wir leben von Tag zu Tag. Meine Eltern wünschen sich, dass ich eine gute Bildung erhalte. Mittlerweile besuche ich die zweite Klasse an dieser Schule. Meine Mutter, mein Vater und ich sind sehr glücklich darüber. Ich bin der Einzige in der Familie, der zur Schule geht. Tagsüber arbeite ich, und am Abend besuche ich den Unterricht. Es macht mich sehr glücklich, lernen zu dürfen. Danke.“
Der Dank gebührt jedoch unseren Spendern, die solch ein nachhaltiges Projekt ermöglicht haben. Mit nur 6.360 Euro konnte der Betrieb dieser informellen Schule über ein Jahr sichergestellt werden. Das entspricht etwa 255 Euro pro Jahr oder gerade einmal 21 Euro im Monat für die Bildung eines Kindes. Ein kleiner Betrag, der Großes bewirken kann und das Potenzial hat, das Leben dieser 25 Kinder nachhaltig zu verändern.
Wir möchten das Projekt dieses Jahr fortführen, gerne mit Deiner Hilfe.
Möge Allah Euch für Eure Großzügigkeit reichlich belohnen! Amin.