Wenn Winter nicht weiß ist, nur kalt

Von Nadya Moussa

Liebe Spenderin, lieber Spender, kaum eine Zeit verbindet uns als Menschen so sehr wie die des Winters. Die Tage werden kürzer, die Dunkelheit nimmt zu, und bei vielen von uns stellt sich ein allgemeines Unwohlsein ein, dass man hierzulande gerne als Winterdepression beschreibt. Dies ist die Zeit, in der wir alle spüren, was Kälte bedeutet. Natürlich kann eine große Mehrheit von uns, die wir hier in Mitteleuropa leben, die Kälte einigermaßen abwehren; auch gegen den Schnee und Eisregen sind wir doch recht gut gewappnet. In vielen Köpfen erscheint eine weiße Landschaft aus schneebedeckten Bäumen und Dächern als Symbol des Winters. Das mag selbst in unseren Breitengraden immer weniger zutreffen, in vielen Projektländern aber fällt kein Schnee; es ist einfach nur kalt.

Daher bildet die Ausgabe von warmer Kleidung und Decken einen Großteil der Winterhilfe. Denn Winterkleidung ist fast überall teuer. Für Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen ist sie zu teuer, das ist hier nicht anders als in Pakistan oder Nepal. Gerade wenn Familien aus mehreren Mitgliedern bestehen, ist jedes Kind, jeder junge Mann zu viel. Großfamilien, das sind nicht nur Mutter, Vater und viele Kinder; nein, das sind manchmal nur eine alleinstehende Witwe mit drei Kindern, den Schwiegereltern und der eigenen Mutter. Oder es ist eine alte Frau, die auf ihre alten Tage hin noch einmal Kinder großzieht, entweder die eigenen Enkel, deren Eltern gestorben sind, oder die Kinder einer Schwester, die gestorben oder verschollen ist.

Vietnam: 270 Familien haben jeweils eine Decke und eine Kinderjacke erhalten.

Doch nicht in allen Familien fehlt das männliche Oberhaupt, das in ländlichen Regionen immer noch als Haupternährer einer Familie gilt. Durch Arbeitsunfälle, Krankheiten, Behinderungen oder andere unvorhergesehene Zwischenfälle sind vielerorts Männer oft nicht mehr in der Lage, einer Arbeit nachzugehen. Dann müssen die Frauen das Einkommen erzielen. Das ist eigentlich der falsche Ausdruck. Denn ein Einkommen kann nur erzielen, wer feste Arbeit hat. Bedürftigkeit entsteht und bleibt aber häufig bestehen, weil den Betroffenen der Zugang zu Bildung, Aus- oder Weiterbildung versperrt bleibt. Wer nie etwas gelernt hat, kann in einer Welt, die ohne Maschinen und Computer nicht mehr zu funktionieren scheint, nicht viel ausrichten, weder für sich selbst, noch für andere. Vielen bleibt nur das erniedrigende Betteln, oder sie nehmen Dienste an, durch die sie sich einen Tageslohn verdingen. Das reicht nicht einmal, um genügend und verschiedene Lebensmittel einzukaufen, geschweige denn für Medikamente. Auch wenn Länder wie Thailand oder Vietnam nicht unbedingt die ersten sind, die einem einfallen, wenn man an Winterhilfe denkt, wird es dort oft kalt. In Vietnam ist besonders die Zeit des Jahresüberganges mehr als ungemütlich. Selbst wenn die Temperaturen nicht sehr tief fallen, sorgen Wind und eine hohe Luftfeuchtigkeit für Kälte. Ab unter zehn Grad Celsius fällt für Grundschüler die Schule aus, nicht ohne Grund.

Manchmal spürt man den Winter aber nicht nur, man sieht ihn auch, in europäischen Ländern beispielsweise. Besonders auf dem Balkan und im russischen Tschetschenien sind Dörfer oft nicht an das Gasnetz angeschlossen, dort heizt man noch mit Holz. In Albanien werden im Winter in den Bergen Temperaturen von minus zwanzig Grad erreicht, oft liegt so viel Schnee oder Eis, dass einige Straßen nicht befahren werden sollten. Im Frühjahr 2016 waren wir auf einer Projektreise in Albanien unterwegs. Das Land bietet Naturliebhabern einen atemberaubenden Schatz an bewaldeten und mit Sträuchern bewachsenen Bergen, von denen man zum Teil sogar auf die Sandstrände des Adriatischen Meeres herunterschauen kann. Aber finanziell gesehen ist das Land arm. Fast die gesamte Oberschicht hat dem Land den Rücken gekehrt, auch der Mittelstand wandert immer mehr ins benachbarte europäische Ausland ab, am liebsten nach Italien – dank der vielen italienischen Filme und Serien, die im albanischen Fernsehen laufen, sprechen sehr viele Albaner fließend Italienisch. Zurück bleiben ausgerechnet diejenigen, die auf Hilfe angewiesen sind.

Albanien: Viele Familien in den unwegsamen Bergregionen im Norden heizen ihre alten Öfen noch mit Brennholz. Die wirtschaftliche Entwicklung, die in Tirana spürbar wird, ist in den Bergen kaum merklich vorhaben.

In der Hauptstadt fällt es nicht so sehr auf, verlässt man Tirana aber über die Hauptstraße in Richtung Bulqiza im Gebirge, offenbart sich dem Vorbeifahrenden ein surreales Bild. Entlang der Autobahn kommt man meist an offenen Landschaften vorbei, hin und wieder säumen Einfamilienhäuser den Weg. Teilweise sind es nur Rohbauten, weder Fensterglas noch Türen sind eingebaut, bei einigen fehlt sogar das Treppengeländer oder die Balustrade am Balkon. Nicht alle dieser Häuser stehen leer und viele der leerstehenden würden eine traurige Geschichte ihrer ehemaligen Besitzer erzählen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten.

Bulqiza liegt versteckt in den Bergen, dort wurde nach dem zweiten Weltkrieg Chrom gefunden, seitdem wird das Mineral den Minen entzogen. Ja, man könnte fast sagen, die Stadt existiert wegen der Minen. Wer kein Chrom für ausländische Firmen fördert, schürft es illegal oder sucht es vom Boden auf und versucht die kieselgroßen Steinchen auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Die Einwohner haben keine andere Wahl, der Lohn ist schlecht, die Arbeit lebensgefährlich – wegen fehlender Schutzmaßnahmen kommt es in den Bergwerken immer häufiger zu Todesfällen –, über die Verwendung mancher Einrichtung im lokalen Krankenhaus rätseln sogar die Ärzte und weiterführende Schulen sind nur mit dem Bus zu erreichen.

Albanien: In einigen Häusern in Bulqiza ist nur ein Raum bewohnbar.

Dass das Leben in der Stadt hart ist, sieht man seinen Bewohnern an. Zu Besuch bei einer Familie, die Winterhilfe erhalten hatte, werden die Folgen von Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit sichtbar. Das Haus liegt am Hang, ein höher gelegener, betonierter Weg führt zur Eingangstür. Zwischen dem Weg und der Haustür hüpft man in den Innenhof. Man muss hüpfen, denn es gibt keine Treppe. Aus der Steinmauer ragen noch Eisenstäbe heraus, die zur Befestigung des Zements verbaut wurden. Im Innenhof hängt die Wäsche zum Trocknen. Im Haus ist es zu feucht. Nur ein Zimmer ist bewohnbar, im ehemaligen Wohnzimmer führt ein Riss in einer tragenden Wand von der Decke bis zum Fußboden. Die Eigentümer haben überlegt, ob sie nicht vor der Mauer eine zweite bauen, damit sie den Raum wieder nutzen können. Aber von welchen Mitteln? Das neue Wohnzimmer ist feucht, ein altes Sofa und zwei Sessel stehen darin. Es ist der einzige Raum mit einem Ofen. Die meisten Familien heizen über alte Öfen, die mit Brennholz befeuert werden. Der Familienvater ist an einer Nervenkrankheit erkrankt. Drei schulpflichtige Kinder müssen versorgt werden. Die älteste Tochter, jetzt fünfzehn Jahre alt, besucht eine weiterführende Schule außerhalb Bulqizas. Für die Fahrtkosten ist kein Geld übrig, sie wird privat unterstützt. Vieles kann man sich erst vorstellen, wenn man es gesehen hat, z.B. dass es noch ärmere Familien gibt.

Sie kommen aus dem Nachbarland, in dem auch jetzt noch sechs Jahre nach Beginn der Gewalt kein Frieden in Sicht ist. Im Libanon allein sind über eine Million Syrer beim Flüchtlingshilfswerk UNHCR registriert, die Dunkelziffer ist viel höher, weil bei Weitem nicht alle Flüchtlinge registriert sind. Ihr Dasein dort lässt sich kaum als Leben beschreiben. Da sie im Libanon offiziell nicht als Flüchtlinge anerkannt sind, erhalten sie auch keine staatlichen Hilfen. Was bleibt, ist zu warten: auf das Ende vom Krieg hinter den Bergen; darauf, dass Hilfsorganisationen wiederkommen; dass morgen vielleicht doch irgendetwas passiert, das ihre Situation verbessert oder ändert.

Libanon: Camp 94: in der Bekaa-Ebene besteht aus wenigen Zelten und einfachen Toilettenkabinen.

Vielen fehlt es an allem. Zelte und Zeltplanen werden von Hilfsorganisationen gestellt, die meisten Syrer leben auf Ackerland der dortigen Bauern. Für das kleine Fleckchen Erde zahlen sie Pacht, nicht weil die Bauern so gierig sind, sondern weil die Ackerflächen nicht bestellt werden können, und die Bauern schließlich auch Familien zu ernähren haben. So vieles auf dieser Welt ändert sich, wenn wir unsere Perspektive ändern.

In den Zelten gibt es nicht viel, einen kleinen Ofen, Decken, ein paar Plastikschüsseln und Töpfe. Mehr nicht. Einige Frauen haben sich zusammengetan und sind mit ihren Kindern in Wohnhäuser gezogen. Das große Camp Jarrahiya ist unübersichtlich und ohne männlichen Schutz sind dort vor allem Mädchen und junge Frauen nicht sicher. Der enge Raum zwischen den Zelten und die empfundene Nutzlosigkeit schlägt auch dem psychologisch stärksten Mann irgendwann aufs Gemüt. Es kommt oft zu Streit. Auch die Frauen leben in Rohbauten, aber die meisten von ihnen sind froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Vor dem Haus ziehen sie ein wenig Gemüse und halten Tauben und Hühner. Das Leben muss schließlich weiter gehen, irgendwie.

Auch in diesem Jahr haben wir wieder gelernt, wie schnell vorbei sein kann, woran man sich gewöhnt hat. Es sind meist die Schwachen und Schwächsten in einer Gesellschaft, die zurückbleiben. Helfen wir denen, die auf unsere Unterstützung angewiesen sind, gemeinsam, jeder wie er kann. Und inschallah gibt Allah uns die Möglichkeit, aufeinander Acht zu geben und uns gegenseitig vor Übel und Schwierigkeiten zu bewahren.

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